Überlegungen zum Sucher

30.07.2012 - ...mit Blick auf den Hybridsucher der Fujifilm Finepix X100

Der Sucher ermöglicht dem Fotografen ganz allgemein eine Vorschau auf das Bild, das er gerade macht. Durch den Sucher blickend stellt er das Bildmotiv so von der Umgebung frei, daß es eigenständig wirken kann, und stetig durch den Sucher schauend und beurteilend legt der Fotograf die Bildkomposition durch Variation von Ausschnitt (Brennweitenveränderung und / oder Ausschnittwahl durch Kamerabewegung) und Aufnahmeabstand fest. Nicht zuletzt kann der Fotograf über zusätzlich im Sucher sichtbare wichtige Bildparameter wie Schärfe, Schärfentiefe, aber auch Blende und Verschlußzeit, die technischen Aspekte der Aufnahme überwachen.

Daß der Kamerasucher für das Fotografieren eine überragende Bedeutung hat, ist auch daran abzulesen, daß Analogkameras jahrzehntelang u.a. nach Suchertyp eingeteilt und benannt wurden: Meßsucherkameras, Spiegelreflex(sucher)kameras, Mattscheibenkameras, zweiäugige Spiegelreflexen (ein „Auge“ als Sucher) etc.

Im Bereich der Digitalkameras gab es lange Zeit nur entweder Spiegelreflexsucher, oder aber, in den weitaus meisten Fällen, der LCD-Bildschirm fungierte als Sucher. Im Laufe der 2010er Jahre etablierten sich dann zusätzlich die Bridgekameras und später die spiegellosen Systemkameras, die alternativ einen elektronischen Sucher aufweisen, zu dessen Nutzung die Kamera, wie bei allen anderen Suchertypen außer dem LCD-Panel, an das Auge geführt werden muß. Optische Durchsichtsucher blieben die große Ausnahme1, und ihre Ausführung erwies sich dann leider häufig als wenig praxistauglich. Lediglich die digitalen Leicas M8 und M9 arbeiteten mit dem legendären Meßsucher, der dem System seit jeher das „M“ im Namen verleiht.

Unterschiedliche Suchertypen haben, wenig überraschend, jeweils abweichende Vor- und Nachteile.

LCD-Sucher

Die verbreiteten LCD-Bildschirmchen auf den Kamerarückseiten gestatten, darin den alten Mattscheibenkameras nicht unähnlich, die sorgfältige Komposition statischer, wenig bewegter Objekte. Sie erlauben die direkte Beurteilung der Bildschärfe und sogar der Schärfentiefe, können aber bei starkem Sonnenlicht schnell völlig unbrauchbar werden. Sie eignen sich aufgrund der losen „Kopplung“ zwischen Auge und Kamera, die durch die mehr oder weniger ausgestreckten Arme gegeben ist, kaum für schnell bewegte Objekte. In diese Richtung wirkt auch der Umstand, daß man auf den LCD-Panels, unabhängig von der gewählten Brennweite, ziemlich2 genau den Ausschnitt sieht, der auch das aufgenommene Bild ausmacht. Was für unbewegte Motive klar ein Vorteil ist, stellt sich für bewegte Motive u.U. als Nachteil heraus: wären die Bildgrenzen in ein etwas größeres Sucherbild eingebettet, würden sich bewegte Motive deutlich einfacher verfolgen lassen, und beim Abpassen des besten Moments für eine Aufnahme ließen sich bisweilen bildwichtige Entwicklungen außerhalb des eigentlichen Bildes besser beobachten. Bildern, die mit LCD-Suchern gemacht wurden, haftet oft etwas Gravitätisches, Starres, Langweiliges an. Selten erwähnt werden übrigens die praktischen Probleme, die sich für weitsichtige Brillenträger ergeben, die für jedes Foto nämlich ihre Lesebrille hervorholen müssen – da ist schon manche interessante Aufnahmesituation ungenutzt verstrichen!

Elektronische Sucher

Elektronische Sucher sind quasi in die Kamera verlegte LCD-Sucher, zu deren Betrachtung man die Kamera an das Auge führen muß. Alle Vorteile, und bis auf die „langen Arme“ und den Brillenwechsel auch die meisten Nachteile treffen folglich genau so auf die elektronischen Sucher zu.

Spiegelreflexsucher

Der ebenfalls ans Auge gehaltene Spiegelreflexsucher hat die meisten für das LCD-Panel genannten Probleme nicht, sofern er auch für Brillenträger konstruiert wurde, wovon man heute ausgehen kann. Lediglich die auch hier brennweitenunabhängige Übereinstimmung von Sucherbild und fertigem Bild wirkt bei bewegten Objekten und in komplexen Situationen u.U. nachteilig. Die Bildschärfe kann sofort eingeschätzt werden, die Beurteilung der Schärfentiefe ist mit Hilfe einer Abblendtaste meist befriedigend gelöst, und auch der Umstand, daß das Sucherbild im Moment der Aufnahme kurzzeitig nicht sichtbar ist3, ist nur sehr selten ein wirklicher Nachteil.

Optische Durchsichtsucher

Dieser Suchertyp, der im übrigen wie der Spiegelreflexsucher meist auch uneingeschränkt für Brillenträger taugt, zeigt deutlich mehr als die eigentlichen Bildgrenzen, die aber in geeigneter Weise mit einem Rahmen gekennzeichnet sind, so daß er sich hervorragend für bewegte Objekte und für situationsbezogene Schnappschüsse4 eignet. Was die Beurteilung der Bildschärfe betrifft, muß zwischen einfachen Durchsichtsuchern, die das nicht erlauben, und den aufwendigen Meßsuchern unterschieden werden, die das sehr intuitiv unterstützen. Die Schärfentiefe ist bei beiden Durchsichtsuchertypen nicht erkennbar, was die Eignung für Architekturaufnahmen beeinträchtigt. Außerdem ist bei Sucherkameras gesonderter Aufwand vonnöten, um den Bildausschnitt für unterschiedliche Brennweiten zu kennzeichnen. Ein gravierendes prinzipielles Problem des optischen Durchsichtsuchers ist die sogenannte Sucherparallaxe. Im Gegensatz zum LCD-Panel, das seine Bildinformation direkt vom Bildaufnehmer und damit durch das Objektiv bezieht, und auch abweichend vom Spiegelreflexsucher, der über den Spiegel ebenfalls direkt durch das Aufnahmeobjektiv "sieht", hat der optische Durchsichtsucher ein eigenes Fenster zur Welt, das zum eigentlichen Aufnahmefenster, dem Objektiv, geringfügig versetzt ist, also einen leicht anderen Ausschnitt erfaßt. Bei großen Entfernungen fällt das kaum ins Gewicht, aber je geringer der Aufnahmeabstand wird, desto größer wird die Abweichung des Sucherbildes vom aufgenommenen Bild, die Sucherprallaxe. Folglich sind Aufnahmen aus geringer Entfernung, zumal Makroaufnahmen, mit reinen Sucherkameras kaum zu machen.

Der Fujifilm Finepix X100 Hybridsucher

Beim Sucher treffen wir zum ersten Mal und besonders ausgeprägt das Bestreben der Ingenieure der Finepix X100 an, einerseits die technische Lösung aus den bekannten Möglichkeiten möglichst adäquat, d.h. das Konzept der Kamera unterstützend, auszuwählen, sich in einem zweiten Schritt dann aber nicht mit den Schwächen der ausgewählten Lösung zufriedenzugeben, sondern hier konstruktiv so weit wie möglich Abhilfe zu schaffen – und der dafür getriebene (Zusatz)aufwand erklärt einen guten Teil des nicht eben geringen Preises der X100.

Die Finepix X100 tritt mit einem sehr aufwendig gestalteten, hellen und brilliant klaren optischen Durchsichtsucher an, der sich auf Wunsch ad hoc in einen elektronischen Sucher verwandeln kann. Zusätzlich kann man sich jederzeit für die Nutzung des LCD-Panels als Sucher entscheiden. Strenggenommen hat die X100 also drei Sucher, die alternativ genutzt werden können. Je nach Aufnahmesituation kann man sich also den geeignetsten Suchertyp heraussuchen.

Damit nicht genug: Fujifilm ist zu Recht stolz darauf, als erste Firma eine Kamera mit einem hybrid-optischen Sucher anbieten zu können. Der Clou ist die Möglichkeit, beliebige Informationen in Grafik oder Klartext an beliebiger Stelle in das Sucherbild einzublenden. Das erfordert einen enormen technischen Aufwand, und es macht die Kamera, wie erwähnt, deutlich teurer. Dieser technische Aufwand zielt dahin, die Nachteile des optischen Durchsichtsuchers, wo möglich, konstruktiv zu entschärfen, und dort, wo das nicht möglich ist, alternativ die Suchertypen LCD-Panel und elektronischer Sucher anzubieten.

Es hat gute Gründe, daß Fujifilm dem Sucher hohe Aufmerksamkeit widmet. Der aufwendige Sucher der X100 ist nämlich Teil des Konzepts, das sich an klassischer Reportage-Fotografie - heute sagt an eher: Street-Fotografie - orientiert, hier aber in dem Bestreben, den Fotografen optimal bei seiner Tätigkeit zu unterstützen, mit innovativer aktueller Technik angereichert und erweitert wird.

1 z.B. Nikon Coolpix P7000, Canon G10 / G11
2 Meist ca. 90 - 95 Prozent des aufgenommenen Bildes im Sinne einer Sicherheitsreserve.
3 Zweiäugige Spiegelreflexkameras, bei denen das Phänomen nicht auftritt, spielen heute keine Rolle mehr.
4 Als ein Beispiel von vielen sei der berühmte Henri Cartier-Bresson (*1908, †2004) genannt, der stets mit Sucherkameras gearbeitet hat.