Zefix no amoi!

26.04.2018 - Herr Söder lässt Kreuze aufhängen.

In diesen Tagen geistert eine geniale Aktion des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder durch die Gazetten und über die Bildschirme: in jeder Behörde des schönen Freistaats ist, so par ordre du mufti respektive Dekret verfügt, „als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“ gut sichtbar im Eingangsbereich ein Kruzifix aufzuhängen. Natürlich ist der Sturm im Wasserglas, der sich umgehend erhob, kühl kalkuliert: „Kulturkampf!“ (SPD), „Spaltung... Abgrenzung... billiger Wahlkampf“ (Grüne), „Symbolpolitik“ (AfD), „wichtig und richtig“ (Israelitische Kultusgemeinde München). (Feine Volten, die die Angelegenheit noch schlägt: die Kirchen sprechen sich klar gegen die Aktion aus, und am dichtesten an meinem unten erläuterten Einwand ist, zumindest in einem Nebensatz, ausgerechnet Herr Lindner von der FDP...) Die Diskussion dreht sich vorwiegend darum, ob da Regierungs- und Parteiinteressen der CSU eine unheilige Allianz eingehen, ob der Staat sich eines religiösen Symbols bemächtigen darf, ob das Kreuz überhaupt ein religiöses Symbol ist, und, natürlich: ob die eigene Meinung auch bereits breit genug in den Blätter- und Bildschirmwäldern gestreut wurde. Der erklärten Absicht der Aktion, der geschichtlichen und kulturellen Prägung eines deutschen Bundeslandes Ausdruck zu verleihen, wird eher am Rande Aufmerksamkeit geschenkt. Aber die Betrachtung genau dieser Frage scheint mir einige der Defizite aufzudecken, die sich in ähnlicher Form durch viele öffentliche Debatten ziehen. Unweigerlich fällt mir hier Hitchcocks McGuffin ein.

Wie ist denn nun das Bundesland Bayern geschichtlich und kulturell geprägt? In Landes- und Bundesverfassung sind z.B. folgende Dinge glasklar festgelegt: Trennung von Kirche und Staat, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Regierung und Justiz, das Gewaltmonopol des Staates, um nur einiges zu nennen, was unser Leben heute so vortrefflich – jawohl: vortrefflich!, verglichen mit den letzten fünftausend Jahren in jedem Fall – regelt. Und ist das das Resultat von zweitausend Jahren Christentum? Meine Antwort darauf lautet: Nein! Es ist das Resultat der schwierigen Prozesse, die letztlich zur Überwindung des Christentums als unseren Alltag prägende Kraft geführt haben. Dieses sind die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, die Philosophie der Aufklärung, die zwangsläufig in der Deklaration der allgemeinen Menschenrechte mündete, und nicht zuletzt die Freiheit der Kunst. Wenn man die geschichtliche und kulturelle Prägung eines deutschen Bundeslandes also verbildlichen möchte, dann wäre das Aufhängen der Bilder von Menschen eine Option, die die oben genannten Errungenschaften teilweise gegen härteste Widerstände – oft der Kirche, deren Symbol das Kreuz ist! – mühsam erkämpft haben: Immanuel Kant, Albert Einstein, Isaak Newton, Rahel Varnhagen, Alexander von Humboldt, Giordano Bruno, Hedy Lamarr, Voltaire, Charles Darwin, Josephine Baker, Georges Danton, Thomas Jefferson, Heinrich Heine, Hannah Arendt, Martin Luther King, Galileo Galilei, Georg Büchner, Kurt Tucholsky, Ada Lovelace, Johann Wolfgang von Goethe, Max Ernst, Erich Kästner, Mohammad Ali, Marlene Dietrich, ... Das christliche Kreuz hingegen gehört in keinem Fall in diesen Zusammenhang!

Aber darum geht es dem Initiator der Aktion ja auch gar nicht, ebensowenig wie es Alfred Hitchcock darum ging, was er als McGuffin verwendete, solange er nur irgendeinen hatte, der den Zweck erfüllte. Die wahre Intention ist, auf die Titelseiten zu kommen, sich in Erinnerung zu rufen, zu polarisieren und so die eigenen Truppen beisammen zu halten. Es ist genau diese Art von problemignoranter Nebelkerzenwerferei anstelle problemorientierter Kärrnerarbeit, diese buzzwortgeile Marktschreierei anstelle transparenter Diskussion und Meinungsbildung, die die Probleme immer mehr auflaufen läßt, und den Menschen, für die die Politik unabweisbar Verantwortung trägt, die Lösung dieser Probleme frech und kaltlächelnd verweigert.

Es ist noch gar nicht lange her, da hätte man Herrn Söder ebenso wie den meisten seiner lautstarken Kritiker gesagt: Pfui! So etwas tut man nicht, schämt euch, zefix no amoi!